"Nichts ist doofer als Hannover"
In Deutschland ist Expo und keiner geht hin

"Nichts ist doofer als Hannover": Dies scheinen mehr Deutsche zu glauben, als es den Machern der Expo in der niedersächsischen Hauptstadt lieb sein kann. Da ist in Deutschland Weltausstellung und keiner geht hin. Zu Tausenden werden Mitarbeiter entlassen, der erste Pavillon macht Pleite und auch ansonsten drohen Milliardenverluste.
Panisch wird nach Gründen für das Desaster gesucht: Die Parkplätze sind zu teuer (20 Mark pro Tag), das Buchungssystem ist zu kompliziert, die Werbung stimmt nicht.
Vielleicht ist das ganze Drama aber auch viel leichter zu erklären: Meiner Meinung nach hat die Expo nicht den Unterhaltungswert, den man von ihr erwartet hat. Und an den wenigen Hallen und Pavillons, die wirklich fürs "Volk" interessant sind, steht man bereits an Wochentagen bis zu zwei Stunden in der Schlange.
Das trifft auch auf die Uninteressanten zu, die man aber obligatorisch "mitnehmen" muss. Das beste Beispiel ist der deutsche Pavillon: 45 Minuten dauerte es montags nachmittags bis der Besucher an Gipsbüsten von so bedeutenden Deutschen wie Margarete Steiff (die mit den Teddybären) vorbei zur Hauptattraktion - einem Film über die Zukunft - vorgerückt ist. Dort bekommt er acht Minuten lang gezeigt wie der dicke Deutsche Bratwurst mit Sauerkraut und Flaschenbier verdrückt und ein Kind fröhlich schaukelt.

Was sich der "Künstler" dabei gedacht hat, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, warum die Bayern als typisches Exponat ihres Landes einen Stein der Zugspitze nach Niedersachsen kutschiert haben (die Hessen haben übrigens die Schreibkommode der Gebrüder Grimm mitgebracht).
Ebenso unverständlich für den Nomalsterblichen ist, warum im Themenpark unter dem Motto
"Arbeit der Zukunft" auf großen Tafeln Fragen wie "Wie groß ist das Universum?" gestellt werden und in einer abgedunkelten Halle große und kleine illuminierte weiße Plastiksteine rollen. Von der Arbeit der Zukunft erfährt der Besucher jedenfalls nichts.
Da lobe ich mir noch die Chinesen (im 3-D-Kino geht's auf Flussfahrt durch Peking), die Spanier (hier gibt's leckere Tapas), die Finnen (wohltuender Waldspaziergang in himmlischer Ruhe) und die Ukrainer (der halbe Liter Bier an der gemütlichen Bar kostet nur vier Mark).
Ebenfalls empfehlenswert ist im Themenpark die Halle 9, wo Visionen der Zukunft anschaulich und zum Anfassen dargestellt werden (Achtung, lange Wartezeit).
Nervig hingegen sind die allgegenwärtigen Fernseher auf denen mehr oder weniger interessante Videofilme flimmern, und die immer von Schulkindern umlagerten Touchscreen-Bildschirme.

Absolut unverständlich für mich ist, dass die Expo, die unter dem Motto "Mensch, Natur, Technik" steht, eine nicht gerade für gesundes Essen, ein soziales Arbeitsklima und praktizierten Umweltschutz bekannte Fast-Food-Kette als Weltpartner akzeptiert hat.
Trotz aller Widrigkeiten und Null-Nummern lohnen sich meiner Meinung nach die rund 70 Mark Eintritt für die Expo dennoch: Das tolle Rahmenprogramm und die zum Teil wirklich beeindruckenden Länder-Präsentationen machen den Besuch vielleicht nicht unbedingt unvergesslich, stimmen aber immerhin doch noch versöhnlich.
Allerdings lässt nicht nur das kümmerliche Wahrzeichen (was ist schon der Walfisch-Pavillon des CVJM gegen den Eiffelturm in Paris oder das Atomium in Brüssel) die Gewissheit reifen: Aus der Gelegenheit, eine Expo veranstalten zu dürfen, hätte Deutschland mehr machen können. Christian Reiche

aus Lahn-Dill-Anzeiger,  Ausgabe 27.7.00

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